Angst und Glauben

„Wie heißt es in der alten Geschichte? Die Angst klopft an die Tür, der Glauben geht, um zu öffnen; draußen steht niemand.“  (Claudio Magris, Die Welt en gros und en detail, S. 16)

Der Glauben hat kein Auge für die Angst, er kann sie zwar hören, aber er sieht sie nicht. Das, was ihre Aufmerksamkeit fesselt, nimmt er gar nicht wahr. Sein Blick ist immer aufs Leben gerichtet, auch wenn es an seine Grenzen kommt.
Und deshalb ist er in der Lage sich zu bewegen. Er ist fähig, Türen zu öffnen, während die Angst darauf wartet, eingelassen zu werden, unfähig, auch nur ein Hindernis selbst zu überwinden. Sie bleibt obdachlos, nicht weil der Glaube sie zurückweisen  würde, sondern weil sie für ihn schlicht unsichtbar ist.

Wie die Geschichte wohl ausginge, würde der Glauben an die Tür der Angst klopfen?

Corona! Wer denkt an wen? Wer wird vergessen?

Gefüllte Tüten mit Lebensmitteln hängen an den Zäunen für diejenigen, die nichts haben.
Applaudierende Menschen auf den Balkonen danken den Ärzten und dem Pflegepersonal für ihren unermüdlichen Einsatz. Ein netter Anruf bei den alten Ehepaar in der Nachbarschaft, ob man etwas vom Supermarkt mitbringen soll.

Ja, es ist richtig schön, wieviel Nächstenliebe sich unter den Menschen in Krisenzeiten entwickeln kann. Aber leider verhindert es gerade, dass wir auch an die denken, die noch vor kurzem im Blick waren: Flüchtende und Geflüchtete.
Laut der Initiative „Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V.“ fehlt es in den Lagern aber weiterhin am Nötigsten: große Enge, dem Wetter ausgesetzt, keine gute Versorgung mit Trinkwasser, schlechte hygienische Bedingungen und eine geringe medizinische Versorgung lassen erahnen, was dort passiert, wenn Corona im Lager ausbricht.
Zudem sind die Menschen in manchen Lagern (z.B. auf Lesbos) zunehmend rassistischen und rechtsextremen Übergriffen ausgesetzt.

Um unter anderem auf solche Missstände auch aktuell hinzuweisen hat die Initiative „Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V.“ einen Kanal bei Twitch-TV, auf dem sie zweimal in der Woche ins so genannte „Café Neulich“ einlädt. Es lohnt sich reinzuschauen, immer dienstags und freitags, ab 12 Uhr. Und die jeweils bereits gesendeten Folgen sind nachträglich noch anzuschauen.

Die Evangelische Schüler*innenarbeit im Landesjugendpfarramt bietet übrigens Multiplikator*innen­schulungen und Schulprojekte zum Thema „Antidiskriminierung und Antirassismus“ unter dem Titel „Respect your buddy“ an. Termine mit Kleingruppen ab 9 Personen können jederzeit vereinbart werden.

Und wer nicht so lange warten will, für diejenigen habe ich einen Filmtipp: Unter dem Titel „Der Rassist in uns“ hat das ZDF ein soziales Experiment zum Thema Diskriminierung und Rassimus durchgeführt, das auf Beobachtungen und Trainings von Jane Elliot, einer us-amerikanischen Antirassimustrainerin, zurückgeht (der Link bei ZDF neo ist leider nicht mehr aktiv).

Passion fällt aus

Auf meinen Spaziergängen entdecke ich viel Österliches. In den Fenstern stehen Zweigen mit Ostereiern, und auch in den Gärten werden viele Büsche mit bunten Eiern aus Plastik verziert.

Es ist als ob Ostern vorgezogen und einfach verlängert würde.
Zunächst wollte ich eigentlich die Nase darüber rümpfen. Typisch Spaßgesellschaft, die sich aus allem flüchtet, was nicht lustig ist.
Inzwischen denke ich anders darüber!
Ostern als ein Wall gegen Mutlosigkeit, als Stimulierung der hellen Kräfte, damit wir geschwisterlich bleiben, mitfühlend, einander unterstützend.

Im Augenblick kann es ruhig an jedem Tag Ostern werden.

Ausdauerprobleme

Allmählich scheint der Mehrheit die Luft auszugehen. Das vorherrschende Thema in den Talkshows lautet: Wie lange noch?
Die Frage wundert mich. Schließlich ist deutlich gesagt worden: die Maßnahmen gelten bis zum 20. April, und dann sehen wir weiter.
Möglich, dass gar nicht so viele den Talkshows folgen, was ich ehrlich gesagt, ziemlich gut fände. Möglicherweise sind auch die Talkshow-Leute nicht auf der Höhe der Zeit, da sie ja am liebsten um sich selbst kreisen.

Durchhalteparolen sind sicher auch nicht der richtige Weg bei Leuten, denen eine Woche Stillstand vorkommen wie Jahre.
Was dann? Ich habe keine Patentrezept, aber ein Gedicht, auf das ich gestoßen bin.

Vielleicht

Wir werden uns nicht verirren
wir bleiben auf dem Weg

wir werden uns nicht verlieren
wir halten zusammen

Wir werden uns nicht aufgeben
wir bewahren den Mut

Vielleicht

Ein „Vielleicht“ ist nicht viel. Aber manchmal kann es der seidene Faden sein, an den man mehr hängen kann als man denkt.

Buchtitelbörse

Den ganzen Tag Filme gucken, geht irgendwie nicht. Viele entdecken das Lesen wieder.
Und genau das interessiert uns!
Welches Buch lest Ihr gerade? Was gefällt Euch daran? Könnt Ihr es weiterempfehlen?

Schreibt an glaubejugendhoffnung@ejh.de oder in die Kommentarspalte am Ende der Seite.
Wir sind gespannt!

Michael Ondaatje: in der Haut eines Löwen

Erzählt wird die Geschichte von Patrick Lewis, der mit seinem Vater in den Wäldern Kanadas aufwächst und nach dessen Tod sich in der Stadt durchschlägt. Erzählt wird die Geschichte der namenlosen Einwanderer Kanadas, die ihr Leben lang keine 5 Sätze Englisch konnten. Erzählt wird die Geschichte zweier großer Lieben, in die Patrick verwickelt ist. Erzählt werden 25 Jahre der Geschichte Torontos zwischen 1913 und 1938. Erzählt wird aus mehreren Perspektiven und immer in filmreifen Bildern.

Vielleicht kennen manche den Autor Michael Ondaatje durch das Buch „Der englische Patient“. Es gibt auch einen Film dazu, beides ist empfehlenswert.
Ondaatje hat eine ganze Reihe von  lesenswerten Romanen geschrieben.  „In der Haut eines Löwen“ markiert den Beginn seines Könnens.

Es geschehen Ereignisse, die so riesenhaft unglaublich sind wie dieses riesenhafte Land. Eine Nonne fällt von einer Brücke, aufgefangen von einem Arbeiter, und wird zur Schauspielerin und Politaktivistin. Ein Dieb verschwindet aus einem Gefängnis, indem er sich blau anmalen lässt wie das dortige Dach. Und vieles mehr.

Doch am schönsten sind die Liebesgeschichten. Ondaatje ist ein großer Romantiker, dem man abnimmt, was seine Figuren erleben.
Der Roman ist 1993 erschienen. Ich habe ihn gerade zum dritten Mal gelesen. Das müsst Ihr nicht unbedingt wiederholen. Einmal reicht auch.  

John Conolly: Stan

John Conolly ist ein irischer Autor, der eigentlich Krimis und Horrorgeschichten schreibt.
In diesem Buch geht es jedoch um etwas ganz anderes, um die Freundschaft des Komikerduos Stan Laurel und Oliver Hardy. Viele kennen sie auch als Dick und Doof.

Stan Laurel ist die Hauptfigur dieses Romans, so wie er die treibende Kraft des Duos war. Er schrieb (fast) alle Gags und führte in ihren Filmen oft Regie.
Die Geschichte ist vom Ende her erzählt. Laurel erinnert sich: an die Anfänge, an die gemeinsamen Auftritte mit Charlie Chaplin, den Beginn der Freundschaft mit Oliver Hardy, die bis zu dessen Tod halten wird.

Das alles ist wunderbar erzählt. Conolly rückt ganz nahe an Stan heran. Mit ihm reisen wir durch das chaotische Leben dieser beiden Komiker, die wirklich wenig ausgelassen haben.

Eine Liebeserklärung an ein Paar, das so viele Menschen zum Lachen gebracht hat und sich selbst immer wieder in Schwierigkeiten lavierte, die eigentlich kaum zu bewältigen waren. Aber Spaßvögel ergeben sich eben nicht.
Lesen!!!

Meine Lehrmeister

Vor meinem Fenster macht das Zwillingspärchen von gegenüber gerade seine ersten Schritte.
Ich habe sie lange nicht gesehen.
 Im vergangenen Jahr, als sie noch ganz klein waren, lagen sie oft auf der großen Wiese vor unserem Haus, gut bewacht von Mama und Papa.

Und nun sind die Zwillinge schon so weit, dass sie anfangen, die Welt zu erkunden.
Eingemummelt in bunte Winteranzüge unternehmen sie den ersten Ausflug. Sie schwanken als ob der Boden unter ihnen nachgeben würde. Ihre Expeditionen enden regelmäßig auf dem Po. Sie bleiben eine Weile so sitzen, ehe der Bewegungstrieb sie wieder antreibt. Sie gehen und fallen und stehen wieder auf. Wieder und wieder, ein wunderbares Schauspiel der Beharrlichkeit.

Meine Lehrmeister, denke ich, ich will mir an ihnen ein Beispiel nehmen.

Lernzeit Corona

Wir haben euch ja um eigene Blog-Einträge gebeten, weil unser Ziel ist, ein großes Corona-Tagebuch zu schreiben, das aus vielen Stimmen besteht. Hier kommt ein Beitrag von Petra Pieper-Rudkowski:

Wissen Sie eigentlich schon, dass es im Wald tatsächlich keine Räuber gibt? Die sind nämlich alle geflohen, der Wald bietet Ihnen keine Lebensgrundlage mehr.

Warum das so ist? Das kann ich Ihnen sagen. Wie bitte? Ach, das wissen Sie schon lange!

Natürlich fahren keine Kutschen mit goldbehangenen Freifrauen und Kisten voller Gold mehr herum. Pilgernde Mönche hat man seit Jahrzehnten nicht mehr zwischen den Bäumen gesichtet. Auch edle Ritter sind heutzutage Mangelware im Wald. Und selbstverständlich sind unsere Wälder kleiner geworden, auch wegen des Borkenkäfers.

Den wahren Grund für räuberfreie Wälder habe ich dank der Corona-Zeit erfahren. Jeden Tag streife ich durch den Wald. Je nach Tageszeit sehe ich andere Wanderer, und zu penibel festgelegten Zeiten ist der Wald voller Hunde. Da kann statistisch kein Räuber überleben.
Um 7.00 Uhr, um 13.00 Uhr und um 17.00 Uhr setzt sich aus unserer Reihenhaussiedlung eine Karawane gen Wald in Bewegung. Große, Kleine, Dicke, Zierliche, welche mit Hundepullover und andere mit rosa Schleife. Immer gehört ein Mensch zu einem, zwei, drei oder sogar vier Hunden. Und zu einem Hund gehört mindestens ein größerer oder kleinerer Haufen, manchmal versteckt im Unterholz, dem üblichen Räuberversteck und dann wieder direkt auf dem Weg. Mal ehrlich, das geht doch an die Räuberehre!

Was das alles mit Corona-Zeiten zu tun hat und warum das für mich eine Lernzeit ist?

Corona-Zeit = Homeoffice = Bewegung mit social-distance im Wald = die gesamte, große Hundegesellschaft der Siedlung erleben = Lernerfahrung.

In normalen Zeiten fahre ich um 7.00h mit dem Rad zum Bahnhof, der liegt nicht im Wald, und komme um 18.00h zurück, dann ist die Hundekarawane schon wieder zurück in den Häusern.

Und noch ein Letztes. Habe heute endlich den „Haufenmacher“ vor unserem Gartentor gesehen. Mit dem gebührenden Abstand von 2m habe ich mit der „Haufenmacher“-Besitzerin ein paar freundliche Worte über Gartenpforte und frischen Haufen wechseln können. Und dann kam sie aus der Manteltasche gekrochen, die schwarze „Haufen-mitnehmen-Tüte“. Was sage ich? Noch eine Lernerfahrung.

Nun warte ich geduldig, ob diese Lernerfahrung sich verfestigt. Meine Waldspaziergänge mache ich nun in der hundefreien Zeit und treffe hoffentlich auf andere fröhliche Gesellen. Der fiesen „Corona-Bande“ bin ich zum Glück noch nicht begegnet.

In diesem Sinne: Im Wald sind keine Räuber!

Experimente im Supermarkt

Hier nun kommt der 3. Bericht von Cornelia Dassler:

Experiment 3

Ich lese noch einmal Wolfgangs Beitrag hier auf Glaubejugendhoffnung, indem er vorschlägt, auch mal im Supermarkt zu applaudieren.
Witzig, denke ich – denn genau die Idee hatten wir auch schon, als wir vom Applaudieren hörten. Die Aktionen voller Dank gefallen mir gut. An den letzten Abenden habe ich aber bei uns i Viertel weder jemanden singen, noch applaudieren hören.
Auch scheine ich die einzige zu sein, die hier Kerzen im Fenster und auf dem Balkon anzündet für #LeaveALightOn #LeaveNoOneBehind und als Zeichen des Dankes für alle Helfenden.
Beim Kaffee am nächsten Nachmittag im Homeoffice – Pausen müssen sein – sprechen wir darüber.
„Och nö, …“, ist die Reaktion auf meinen Vorschlag, heute Abend im Supermarkt zu applaudieren. Aber ich bin entschlossen.  Heute müssen die Kerzen einen Moment warten.
Um 18:55 flitze ich mit übergeworfener Jacke in den Supermarkt bei mir um die Ecke und spreche eine Frau an: Machen Sie mit? Ich möchte mich gleich mit einem Applaus bei den Mitarbeitern hier im Laden bedanken.“
Ich sehe schon an ihrer Körpersprache – das wird nichts und laufe weiter. Zwei deutlich jüngere Menschen stehen etwas unschlüssig zwischen den Regalen. Ich wiederhole meinen Vorschlag „… jetzt ist es doch sieben Uhr.“
„Toll, dass Sie daran gedacht haben“ sagen die junge Frau lächelnd, und zu dritt applaudieren wir den überraschten Mitarbeitenden, die sich freuen.
Auf der Straße kommt mir mein Mitbewohner doch noch entgegen – vielleicht machen wir es ja beim nächsten Mal zusammen.

Ohne Abstand

Videokonferenz. Meine Zweite heute. Ich kann mir Schöneres vorstellen, aber es ist schon fast erhebend, die gesamte Laju-Mannschaft gesund und munter wiederzutreffen.
Wir erzählen uns von unserer Arbeit und wie es uns derzeit geht. Insgesamt sind das lauter gute Nachrichten.


16 Leuten nacheinander zuzuhören, ist nicht gerade eine leichte Aufgabe. Irgendwann schweife ich ab und ertappe mich beim Meditationsblick: zielloses Starren, das nichts Konkretes mehr wahrnimmt. Dann fällt mein Blick auf den Bildschirm. Er besteht aus lauter Icons von den Menschen, die sich gerade an der Konferenz beteiligen.

16 Köpfe, dicht an dicht. Ohne Sicherheitsabstand oder Mundschutz. Ein Netz der Verbundenheit.
Was für ein schönes Bild, denke ich. Und völlig virenfrei!