Der Chor der Unwilligen

Das haben wir früher schon probiert.
Das geht sowieso nicht.
Das haben wir ja noch nie gemacht.
Das ist uns zu anstrengend.
Wir warten auf Anweisungen.
Uns fällt nichts ein.
Wir wissen nicht, wie.
Die sollen zu uns kommen.
Nein, nicht im Gemeindehaus!
Wir entscheiden.
Keine Experimente.
Früher war alles besser.
Damals zählte die Kirche noch was.
Wir dürfen die Jugendlichen nicht überfordern.
Kinder können nicht das nicht überblicken.
Wir müssen bewahren, nicht verändern.
Wir bestimmen, wie Partizipation aussieht.
Wir sind hier die Leitung.
Die Leute glauben weniger.
Wir wollen uns keinen Ärger einhandeln.
Da kann man nichts machen.
Wir müssen mal sehen.
Man soll den Menschen mehr gehorchen als Gott.
Das geht uns jetzt zu schnell.

Hallo? Ist da jemand?
(langsam verhallt das Echo im leeren Kirchenraum.
Nur der Staub knistert noch ein wenig, ehe es still wird. Ganz still.)


Geld und Werte

Was für ein Ringen!
Nach 4 dramatischen Verhandlungstagen haben sich die 27 Regierungsschefs der EU zu einem Kompromiss zusammengerauft und schmeißen nun 1,8 Billionen (!) Euro auf den Markt, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Niemand kann sagen, ob das gelingt. Im Grunde wird ja nur versucht, einen Scheintoten auf lebendig zu schminken bis zur nächsten Krise, die so sicher kommen wird wie die nächste Rundverfügung.

Dass am Ende ein Kompromiss herausgekommen ist, bietet keinen Anlass zur Klage.
Versucht ihr mal, euch mit 26 anderen Leuten auf ein Ziel zu einigen. Demokratie springt niemals elegant über die Hürden. Sie nimmt sie irgendwie. Doch das ist allemal besser als der Auftritt der Putins (ist der eigentlich getauft? Dann könnte eine sagen: „Übrigens, ich bin die Patin vom Putin.“), Erdoghans und Konsorten. Die räumen die Hürden vorher beiseite, springen und lassen sich dann bejubeln.

Nun ja, kleines dickes Europa donnert meist erst mal dagegen, ehe es sich dann über die Hindernisse wurstelt. Egal! Hauptsache drüber!

Dieses Mal allerdings nicht!

Denn im Eifer des Verhandelns und Kompromisse-Schließens hat man eine Barriere niedergerissen, die unbedingt stehen bleiben muss: die Rechtsstaatlichkeit.
Victor Orban, der Goulasch-Despot aus Ungarn und  Jarosław Kaczyński, die Demokratie-Fräse aus Polen sind in Champagnerlaune. Mit den vielen Milliarden können sie nun in aller Ruhe weiter am Ausbau ihrer Unrechtssysteme basteln. Andere Wackelstaaten werden ihrem Beispiel folgen.

Die Europäische Union behauptet, eine Wertegemeinschaft zu sein. Anscheinend ist beim Billionenpoker da in manchen Hirnwindungen etwas durcheinander geraten. Geld ist ein Tauschmittel und eine Recheneinheit.
Werte sind etwas ganz Anderes: Freiheit – Mitmenschlichkeit – Würde z.B.
Sie sind nicht verhandelbar, kein Gegenstand von Kompromissen.

Dass die EU jetzt insgesamt darauf verzichtet hat, auf die Einhaltung von Werten zu pochen, die sie erst zu einer Union machen, ist erbärmlich.  

Übrigens, ihr Politprofis, hartgesotten und genauso kurzsichtig, die Billionen nützen euch wenig für eine verheißungsvolle Zukunft. Geld ist nicht genug. Wir brauchen Werte.

Und die sind unbezahlbar.

Ernüchternd!

Ein Gespräch mit zwei Landtagsabgeordneten zur Kampagne wir sind #zukunftsrelevant
– von Lara Meyer aus dem Kirchenkreis Gifhorn –

Am Freitag, den 3. Juli, haben unser Kirchenkreisjugendwart, Andreas Schulze-Mauk, unser aktueller FSJler Nikolas und ich, als Vertretende der Evangelischen Jugend, im Kirchenkreis Gifhorn uns gemeinsam mit Jonathan, als Vertreter der Pfadfinder Ata Ulf vom BdP, und Vorstandsmitglied des KKJK, und zwei Vertreter*innen der queeren Wespen mit zwei Landtagsabgeordneten aus den beiden Wahlkreisen unseres Kirchenkreises getroffen.

Das Gespräch mit Philipp Raulfs (30) und Tobias Heilmann (44), beide von der SPD, dauerte ungefähr eine Stunde. Es war geprägt von der Frage, warum die kommerziellen Anbieter*innen sich mit einer höheren Teilnehmendenzahl als die Jugendverbände treffen und Freizeiten veranstalten dürfen.

Unterschiede sind schwer zu verstehen

Die erste Reaktion war die Feststellung, dass es den Landespolitiker*innen selbst nicht leicht fällt diese Unterschiede in der Verordnung zu verstehen und sie diese erst recht nicht begründen könnten. Aber sie seien froh über das vorsichtige Vorgehen bei den Lockerungen in Niedersachsen, was sich ja in den Infektionszahlen widerspiegle. Eine klare Stellungnahme, ob sie diese unterschiedliche Behandlung für unangebracht halten, gab es nicht, nur die Versicherung, dass sie uns verstehen.

Das ist ernüchternd! Uns wurde die Frage gestellt, ob es denn überhaupt Menschen in den Jugendverbänden gibt, die es sich zutrauen würden das Risiko einzugehen, Veranstaltungen mit mehr als zehn bzw. 16 Personen durchzuführen. Wir haben den Rat erhalten, ein Hygienekonzept über die Abgeordneten an das Sozialministerium weiterreichen zu lassen. Darin soll die Durchführung einer Veranstaltung in der gewünschten Gruppengröße beschrieben werden. Wäre das einwandfrei, hätte das Sozialministerium keinen Grund es abzulehnen bzw. die Verordnung nicht dementsprechend anzupassen.

Auf die Feststellung, dass auch Kontaktsportarten mit 30 Teilnehmenden wieder zugelassen sind, folgte der Kommentar, unterschiedliche Zahlen gegeneinander aufzuwiegen, bringe einen nicht weiter. Es kam zudem der Vorschlag, die Vereinbarung des Landes Niedersachsen mit der Landeskirche – „Niedersachsen hält zusammen“ – als „Schlupfloch“ zu nutzen: Hier sollen Studierende in den Räumlichkeiten der Kirche Schüler*innen den verpassten Unterrichtsstoffes vermitteln. Nach dem Wissen der Abgeordneten gebe es keine Begrenzung in der Anzahl der Teilnehmenden.

Wir werden nicht verstanden

Das hat mir leider das Gefühl gegeben, dass sie unser Anliegen, dann doch nicht verstanden haben. Positiv war die Feststellung, dass die Jugendbildungsstätten unter einen Rettungsschirm gekommen seien. Dann folgte die Belehrung, dass es nach der Corona-Krise zu drastischen Einsparungen wird kommen müssen. Wir wurden auf die Kompetenz des Kreistags hingewiesen, regionale Regelungen zu treffen. Gerade nach den Sommerferien könnte deren Bedeutung noch einmal steigen. Und schon waren wir bei der Werbeeinheit für die Kommunalwahlen: Wir sollten uns doch aufstellen lassen.

Endlich haben wir die Worte gefunden, mit denen wie die beiden Abgeordneten in meinen Augen am meisten beeindrucken konnten:

Es erschüttert unser Demokratieverständnis, wenn Jugendverbänden, die politische Bildung betreiben und sich die Vermittlung eines positiven Demokratieverständnisses zum Auftrag gemacht haben, von der Politik zu der sie immer den Kontakt suchen und bei der sie für sich ein Bewusstsein zu schaffen versuchen, so vergessen, benachteilig und gehindert werden in ihrer Arbeit und die kommerziellen Anbieter bevorzugt werden.

Sinntag

Mein Smartphone ist zu klein für meinen unsmarten Daumen. Wenn ich eine Nachricht schreibe, haut er ziemlich oft daneben. Mich nervt’s, und andere amüsiert‘s.

Ja, ich rede nur von einem und enttarne mich hiermit als digital retard, dem das Phone runterfällt, sobald er beide Daumen einsetzt.
Nichts zu machen!
Mir bleibt schleierhaft, wie andere es schaffen, jeweils nur eine statt zwei oder drei dieser winzigen Tasten zu berühren.

Es ist schon ein hartes Schicksal, mit Wurstfingern durchdie Welt zu laufen.
Immerhin: hin und wieder schafft mein Daumen auf diese Weise neue Tatsachen und kreiert Zusammenhänge, die sonst unentdeckt geblieben wären.
Vor kurzem ging es um ein bestimmtes Treffen und die Frage, wer alles daran teilnimmt.
Das Gespräch lief über eine der einschlägigen sozialen Internetplattformen, per Smartphone natürlich:

  • C: Vielleicht können wir vorher schon grob planen, was ihr für einen zeitlichen Rahmen anpeilt. Ich könnte mich dann Samstagabend noch ins Auto setzen und wäre dann Sonntag dabei. Ich fahre ungefähr 2 Stunden 40. Da wäre es aber natürlich fein, wenn Sonntag nicht nur noch Abreise wäre!
  • Ich: Sinntag geht es meist nur bis Mittag. Ich würde sagen, das lohnt sich für Dich nicht.
  • Ich: Sinntag, hahaha. Ich meine natürlich Sonntag
  • S: Das mit Sinntag ist doch eine super Idee. Ich finde der Tag sollte umbenannt werden. Ich fand Sonntag schon immer langweilig. Leierst du das mal an?
  • M: Sinntag halte ich persönlich für zu viel Druck. Am Sonntag möchte ich auch mal sinnbefreit entspannen können.
    T: Wann treffen wir uns jetzt?
  • S: Freitag bis Sinntag!
  • Ich: Sinnfreitag für M.

Ja, es ist Freitag. Das Wochenende ist im Anflug.

Ich weiß natürlich nicht, was ihr vorhabt: ob nix, ganz viel, Ruhiges oder Wildes, das Gleiche wie immer oder etwas total Neues. Aber ist der Gedanke nicht schön, am Ende der Woche (für andere ist es der Anfang) auf den Sinntag zuzusteuern, in dem beruhigenden Wissen:  was immer ihr an dem Tag treibt, es wird schon seinen Sinn haben.

Nach 6 Tagen Wahnsinn endlich einmal ganz in Sinn baden.  Oh jaaa! Und darum rufe ich euch zu:
Wascht ab den Blöd- und Schwach- und Irrsinn dieser Welt! Der Sinntag kommt.
Freuet euch, frohlocket (ok., das mit dem Frohlocken klingt vielleicht etwas zu pathetisch, also streiche ich das mal).

Ach, und wenn ihr es richtig anstellt, könnt ihr übrigens jeden Tag zu einem Sinntag machen.
Außer M., dem Guten, der es mit dem Sinn ja nicht so hat und ohnehin eher ein Kind der Nacht ist.
Was würde der wohl sagen, wenn er das hier lesen würde?

„Sinntag? So ein Unsinn!“

Verdammt, die Zeit!

Die Zeit hat keine Zeit! Sie fließt, rast, eilt, verstreicht, vergeht, verfliegt, saust dahin…
Stets auf dem Sprung. Immer in Bewegung. Dabei fragt man sich doch, warum?
Es wartet niemand auf sie; den Bus verpassen nur andere, sie ist nirgendwo eingeladen, und ein Ziel hat sie meines Wissens auch nicht. Sie will einfach nur weg!

Diese Ruhelosigkeit hat etwas Pathologisches. Ob eine Psychotherapie helfen würde? Ein Optimist, wer auf Selbsterkenntnis hofft.

Doch die Zeit macht sich nicht nur ständig vom Acker. Sie besitzt auch die unangenehme Eigenschaft, sich großzügig bei anderen zu bedienen.
Kaum drehst du dich um, schon hat sie dir einen Tag aus der Tasche geangelt und schnitzt dir dafür eine Kerbe in die Visage, so wie der Wirt seine Striche macht auf dem Bierdeckel.

„Aber ich habe doch gar nichts bestellt?“
„Der Herr(gott) an der Theke gibt eine Lokalrunde aus.“
„Auf unsere Kosten?“
„Naja, einem geschenkten Gaul schaut man doch nicht ins Maul, oder?“
„Aber ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt noch bezahlen kann.“
„Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Am Ende bezahlen alle Ausnahmslos.“

Schluck. In früheren Zeiten musste man sich ernsthaft Sorgen machen.
Einmal abwaschen reichte nicht aus, sich das Fegefeuer zu ersparen.
Heute wissen wir es besser. Während wir noch panisch mit unserer EC-Karte herumfuchteln, wohl wissend, dass unser Guthaben nicht ausreicht, wird uns gesagt, dass die Rechnung längst beglichen ist.

„Von wem denn?“
„Der Herr(gott) da an der Theke hat das für Sie übernommen.“
Oh,danke!“
„Ja, schon gut. Und jetzt raus hier!“

Aber ich schweife ab. Zurück zum Thema.
Manchmal habe ich das Gefühl, Zeit ist ein Glas Wasser in der Jackentasche.
Umgestülpt natürlich.

Gestern stellten meine Kollegin und ich fest, dass wir schon Mitte Juli haben (was heißt hier haben?).
Beängstigend!

Wir alle leiden sozusagen an temporaler Inkontinenz. Überall und ständig leckt es aus uns heraus.
Das Bild ließe sich weiter vertiefen.
Lieber nicht!

Temporal betrachtet sind wir alle Habenichtse bzw. steuern frontal auf die Insolvenz zu.

Was folgt daraus?

Nicht Depression, sondern Aktion.
Handeln, nicht abwarten.
Durchstarten. Loslegen.

Wer nichts zu verlieren hat, muss sich nicht sorgen.

Also, nicht resignieren. Stattdessen: Ideen ausbrüten, Pläne schmieden, die Zeit ausfüllen, sich verausgaben, sich verschenken.

Ich glaube, wer das so praktiziert, wird nahe dran sein an einer anderen Art von Zeiterleben, darin die Zeit paradoxerweise nicht länger fortgeht, sondern zur Ruhe kommt.
„Meine Zeit steht in deinen Händen,“ heißt es im 31. Psalm (16a), der voll atemloser Bedrohungen steckt, an dieser Stelle aber in die Windstille navigiert.

Und es ist nicht einfach Zeit, es ist meine Zeit, die sich in Gottes Obhut befindet.

Sie geht dort nicht verloren.
Und wir auch nicht.

Ich fühl‘ mich heut‘ so digital…

…mal wie ne Eins, mal wie ne Null.

Das ist ein Scherz, den ich seit langem anbringen wollte.
Jetzt hat es endlich gepasst, auch wenn das Niveau eher etwas für geübte Limbo-Tänzer ist (ihr wisst: die mit weit nach hinten gebeugtem Rücken unter einer niedrigen Stange hindurchtanzen müssen, ohne sie zu berühren).


Aber im Ernst:
Gestern hatten wir zu einem Webseminar zum Thema Spiritualität in digitalen Räumen eingeladen.

Klar wurde: viele benutzen zwar digitale Formate, doch denken sie dabei analog. Einen Gemeindebrief als pdf hochladen, verfehlt die Möglichkeiten des Web komplett.

Hier geht es um das, was Kirche oft so schwer fällt: Beteiligung, Spiel, Ausprobieren mit der Möglichkeit, auch etwas falsch zu machen.

Eine Trennung zwischen der analogen und digitalen Welt zu ziehen, ist Unsinn, da sich die beiden Welten vermischen und das eine im anderen ebenfalls denkbar ist. Crossmedialität ist die neue Normalität.
Eine ganze Reihe von Themen wurde angesprochen.

Am wichtigsten ist für mich der Ansatz der Ressourcenteilung. Nicht eine hauptamtliche Person muss alles machen, sondern viele steuern ihr Wissen, ihre Begabung bei. Das mag Kontrollverlust bedeuten und die Kirche ein wenig anarchischer machen. Das wird ihr aber einen deutlichen Frischeschub verleihen können.

Wenn wir Digitalität als vernetztes Denken und Sein begreifen, dann entstehen zugleich neue theologische Fragen und Perspektiven, die den Blick auf Gott und uns verändern. Wer nach sich fragt, wird zugleich Gott und die Mitwelt in den Blick nehmen müssen. Wir sind nicht isoliert. Wir können nicht über uns nachdenken ohne die anderen, ohne den Anderen.

Spannende Aussichten!

Sommerprojekte

Vieles ist diesen Sommer möglich! Denn Ihr wart unglaublich kreativ und flexibel und habt tolle Angebote für die Ferienzeit entwickelt. Schaut einfach mal rein: Sommerprojekte für Kinder und Jugendliche in der hannoverschen Landeskirche.

Fundstücke

Manchmal schreibe ich Gedichte ab und stecke sie in Bücher.
Irgendwann purzeln sie mir wieder entgegen, viel, viel später.
Manchmal wundere ich mich, dass ich dieses Gedicht aufgeschrieben habe.
Viel öfter freue ich mich und lasse mich erneut in den Bann ziehen.

Bücher zu kleinen persönlichen Schatzkästen zu machen, ist ein hübsches Spiel, bei dem man sich selbst überraschen kann. Probiert es aus! Es können auch andere Sachen sein: Sprüche, Gedanken, Fotos…Was immer euch einfällt.

Mein Fundstück von heute fiel mir aus einem Wörterbuch entgegen. Ich habe nicht mal notiert, von wem es stammt. Wer’s weiß, kann’s mir verraten:

Gott

Manchmal ein Schatten
in deinen Gedanken
ein Schritt der vorbeigeht

Das Sternlicht am Rand
deines Blickfelds
ein Sehnen nach etwas
du weißt nicht genau

Ein gerade verklungener Ton

Das Echo der Stille
das Echo der Leere
ein Abgrund vor dem du dich fürchtest

Die Ewigkeit einer Umarmung
der Blick eines Fremden

Ein Lied
das du immer schon kanntest

Du singst es
mit brüchiger Stimme

Du singst nicht allein

beSCHEUERt – ein Märchen

Vor jetzt doch schon einer ganzen Reihe von Jahren wurde in der schönen Stadt Passau ein Junge geboren, den alle bald nur noch den Andi nannten. Als der Herrgott den kleinen Andi schuf, waren ihm gerade fast alle Mittel ausgegangen, so dass er lediglich eine Sparversion in die Welt schicken konnte. Während er noch einmal auf sein, ja, er musste es zugeben, Machwerk schaute, überkam ihn so viel Mitleid, dass er ihm schließlich eine Gabe zusätzlich schenkte, im Grunde seine einzige: unerschütterliches Selbstbewusstsein.

So wurde der kleine Andi allmählich größer, plagte sich durch die verschiedenen Schulformen und war schließlich alt genug, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.
‚Ich kann zwar nix, das aber gründlich und außerdem besser als der Rest der Welt‘, sagte sich der Andi, den in Passau alle immer noch den kleinen nannten. So trat er in die Junge Union ein und gleichzeitig in die CSU.
‚Leute wie ich werden in der Politik immer gebraucht‘, dachte er bei sich selbst. 
Wie recht er hatte.

Rasch machte er Karriere, stieg auf und aufer, wurde dies, wurde das.
2018 stolperte er schließlich ins Bundesverkehrsministeramt.  
Überall in den Konzernetagen der Automobilindustrie ploppten die Champagnerkorken.

Der Scheuer Andi sollte sie nicht enttäuschen.

Er kämpfte unverdrossen für das Auto, für mehr Autobahnen und gegen das Tempolimit.
Aber das reichte ihm nicht. Er wollte etwas ganz Großes: eine Pkw-Maut.
Es gab zwar Bedenken einiger ahnungsloser Experten, doch wer hört schon auf die? Der Scheuer Andi jedenfalls nicht. Wer zögert, verliert. Wer nachdenkt, auch.
Deshalb schloss er flugs langfristige Verträge ab.
Blöd nur, dass der Europäische Gerichtshof die ganzen Pläne als nicht rechtens wieder einkassierte.
Noch blöder, dass die Verträge längst unterschrieben waren.

Da hätte der kleine Andi nun ziemlich dumm dagestanden mit den mehr als 500 Millionen Miesen, die er dem Steuerzahler eingebrockt hatte. Aber da, wie gesagt, sein Selbstbewusstsein erdbeben- und selbstschamsicher war, passierte natürlich nichts dergleichen.  Ja, der Scheuer Andi war sich auch nicht zu schade dafür, die Aufklärungsversuche nach Herzenslust zu blockieren.

Da man ihm weiter freie Hand ließ, kam er auf die Idee, den Bußgeldkatalog zu aktualisieren und vor allem zu verschärfen. Das reute ihn bald, weshalb er einfach einen Formfehler in das Verfahren einbaute, so dass der ganze Bußgeld-Dampfer auf Grund lief.
Es konnte ja auch nicht sein, dass man bei 21km/h Geschwindigkeitsüberschreitung schon seinen Führerschein los sein sollte – einen ganzen Monat lang.
Auf Auto-Andi war eben Verlass.

Fürs Verkehrsministerium gilt anscheinend das, was eigentlich für jedes Mitglied in der evangelischen Kirche gelten sollte: allein aus Gnade. Wir sind immer schon freigesprochen von allen Verfehlungen und müssen uns keine Bußen auferlegen.

Überhaupt bewegen wir uns in diesem Märchen auf ziemlich schwerem theologischen Grund. Von Passion zu Passau ist es nur ein kleiner Schritt; von der Buße zum Bußgeld ein noch geringerer.

Darum sollte man dem Verkehrsministerium den Zusatz evangelisch-lutherisch hinzufügen, um deutlich zu machen, dass es der spirituellste Ministerposten im gesamten Bundeskabinett ist.
Wer sich mit so geringen Fähigkeiten in einem solchen Amt halten kann, der muss tatsächlich aus der Gnade leben. Allein aus ihr.

Was ist noch zu sagen zum Scheuer Andi?
Ach, das wäre nur Altbekanntes.
Und wenn er nicht gestorben ist, verkehrtministert er noch heute und morgen und übermorgen und…

Homeoffice

Heute arbeite ich zu Hause. Das hat viele Vorteile: kurze Wege, keine Ablenkung, Ruhe pur.
Es gibt ein paar Dinge, die brauchen gerade meine volle Konzentration, und die kann ich am besten im Homeoffice…

Oh, das Telefon!

„Nein, ich habe kein Probe-Abo der FAZ bestellt. Den Spiegel will ich auch nicht kennenlernen, ich hab schon einen…Das war ein Witz! Ich meinte, den Spiegel im Badezimmer. Wie? Verreisen werde ich in diesem Jahr sicher nicht, schon gar nicht nach Antalya…Guten Tag.“

Manno, wo war ich stehengeblieben? Ach ja, Konzentration.

Das ist eben das Gute am Homeoffice, dass man ungestört arbeiten kann und…

Verdammt! Jemand klingelt an der Haustür.

Der Schornsteinfeger.
„Sie wollen die Feuermelder prüfen? Bitte sehr, kommen Sie herein…Stimmt, wir haben schon besseres Wetter gehabt. ..Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war…Mottenplage? Habe ich noch gar nicht bemerkt… Im Keller sind keine Melder. Ja, ich wünsche Ihnen auch einen guten Tag.“

Was wollte ich eben noch sagen?
Genau, ungestört arbeiten.

Das geht zu Hause viel besser, auch wenn es natürlich immer schön ist, mit den Kollegen ein Schwätzchen zu halten. Aber es bedeutet eben jedes Mal auch eine Ablenkung. Deshalb finde ich es sinnvoll, hin und wieder zu Hause…

„Nein, ich möchte jetzt keinen Kaffee…Keine Ahnung, wo Du Deine Brille hingelegt hast. Hast Du schon im Wohnzimmer nachgesehen? Ja? Dann weiß ich auch nicht…Doch, ich nehme das ernst, ich kann gerade nur nicht…“

Wie laut man eine Tür zuknallen kann!

Wo waren wir? Stimmt! Homeoffice.

Auf Dauer wäre es mir zu ruhig. Die Abwechslungen fehlen. Stille kann ja auch bedrücken.
Doch wenn es darum geht, am Stück etwas zu schaffen, würde ich immer aufs Homeoffice setzen.
Es gibt einfach nichts Besseres.