Jeden Sontag läuten ab zehn vor zehn die Kirchenglocken.
Zehn Minuten Normalität, in denen ich mir überlegen kann, ob ich zum Gottesdienst gehe oder nicht, ehe mir wieder einfällt, dass ich doch gar keine Wahl habe. Ich kann mich zwar auf den Weg machen, aber der führt nicht weiter als bis zum Kirchenportal, wo mich dann ein Pastor oder eine Pastorin mit tröstenden Worten wieder nach Hause schickt.
Ich weiß, warum die Glocken läuten. Nur bin ich mir inzwischen nicht mehr sicher, ob das eine kluge Idee ist.
Die Kirchen sind geschlossen. Trotzdem bleiben die Glocken sonntags nicht stumm. Doch so verkündet das sonntägliche Geläut nur von der gegenwärtigen Ohnmacht. Ihre Einladung verrauscht ins Leere.
Auch das ist eine Botschaft. Keine Gute. Sie täuscht eine Möglichkeit vor, die sich es momentan nicht einlösen lässt.
Ich fände es besser, alle Kirchen würden mitten in der Woche zu einer bestimmten Zeit einen „Glockenaufschrei“ veranstalten – als Erinnerung an ihre Machtlosigkeit (da sind sie ganz nah an dem, den sie verkündigen), aber auch als Zeichen, dass unser Glaube weiterhin etwas zu sagen hat.
Wir können verlieren, doch wir gehen nicht verloren.
Das Glockenläuten ruft in meiner Gemeinde nicht zum Gottesdienst und doch zur Kirche. Sie ist offen. Ich mache mich auf den Weg und finde Ruhe und Andacht vor Gott. Was ich in der Regel auch finde, ist die Gemeinde vor der Kirche: Ein großer „Kreis“ aus drei, vier, manchmal fünf Leuten, die sich über zwei Meter Abstand die neuesten Neuigkeiten zurufen. Das ist schön, das ist meine Gemeinde, da werden aus 20 Minuten Andacht ganz schnell eine Stunde getrennt zusammen sein. Bis hin zu meinem persönlichen Lieblingsdialog: „Ich schließ dann jetzt die Kirche ab.“ – „Oh Gott. Ich hab vergessen, reinzugehen.“