Wer denkt, ich habe mich verschrieben, irrt.
Die Bundestagswahl steht an und stellt mich vor Rätsel. Wem zum Teufel soll ich meine Stimme geben? Und wie hört sich das überhaupt an, wenn eine Kanzlerin plötzlich klingt wie ich? Sollte ich mich dann nicht doch lieber für einen Mann entscheiden?
Ach, wenn’s so einfach wäre. Klar, die Drei, die ins Kanzleramt wollen, sind allesamt Raketen. Allerdings mehr von der Sorte Blindgänger, Spätzünder und Rohrkrepierer. Ein richtiges Feuerwerk wird das irgendwie nicht. Aber man sollte die Latte auch nicht zu hoch hängen. Es gibt ja eine Tendenz in den „sozialen“ Medien, Perfektion zu fordern – von den anderen. Niemand darf sich den kleinsten Fehler erlauben. Wer einmal als Kleinkind mit Sand geschmissen hat, ist moralisch untendurch. Die Tugendterrorist*innen kennen kein Erbarmen. Es herrscht Sittenwacht. Gute Nacht!
Deutschland schläft den Schlaf der Selbstgerechten.
Also, noch einmal von vorn! Hannadora Baerbock, Rudolf Scholz und Erwin Laschet (die Namen sind aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre leicht geändert) wollen mein Kreuz. Nicht nur sie! Es gibt noch die Laberalen mit Christian Blindner, die (Ge)Link(t)e, mit der das Abendland untergeht, sollte sie mit ihren 7% je das Land übernehmen (Danke für die Warnung, CDU) und…,igitt!, nein, die fallen gleich raus.
Na, dann können mir sicher die Wahlplakate weiterhelfen.
CDU: „Gemeinsam für ein modernes Deutschland“. Ein etwas unglücklich aussehender Mann schaut uns an. Er könnte problemlos als Vorsitzender einer Kleingartenanlage durchgehen. Er ist allein! Gemeinsam? Mit wem? Modern? Blaues Sakko, blauer Schlips, weißes Hemd. Mann, darauf muss man erst mal kommen, das als modern zu verkaufen. Eingerahmt ist unser einsamer Kandidat von einem Reifen in Deutschlandfarben. Will Onkel Erwin da jetzt durchspringen, nachdem Söder den Reifen angezündet hat?
SPD: „RESEPKT FÜR DICH:“: Ein Mann, ganz in Schwarz-Weiß gehalten, sieht mir direkt ins Gesicht. Der rechte Mundwinkel ist einen Tick weit angehoben (da wurde sicher unendlich lange mit dem Geo-Dreieck gearbeitet). Das wirkt seriös, aber nicht verbissen. Das angedeutete Lächeln könnte allerdings auch als Anflug eines schmierigen Grinsens aufgefasst werden, nach dem Motto: Hähä, reingelegt! Denn der Kandidat sitzt vor einem aggressiv-roten Hintergrund. Signalisiert das jetzt Sonnenaufgang oder –untergang? Oder kommunistische Weltherrschaft?
„Respekt für dich“ verkündet Rudolf Scholz. Ich wusste gar nicht, dass wir uns duzen, Rudi. So wie du dasitzt, kann ich nur sagen: Angela heißt jetzt Rudolf. Ich frage mich, wie lange es noch dauert, bis der Rudolf alle ihre Kostüme abstaubt. Von der Größe her passt es ja. Muss nur noch ein bißchen abgenäht werden.
Bündnis 90 / Die Grünen: „Zuhören und Zutrauen. Bereit, weil Ihr es seid.“
Zwei Personen, in etwas seltsamer Haltung blicken, ja, wohin eigentlich? Annadora steht frontal, auf der rechten Seite, und sieht haarscharf an uns vorbei. Hubert Habeck hat sich auf der linken Seite halb seitlich platziert und visiert etwas gequält lächelnd das Nirvana an. Eingetaucht sind beide in ein Pistaziengrün.
Früher war mehr Lametta, und mehr Grün war auch; dunkler, satter. Muss ich das so verstehen, dass es künftig eine Lightversion grüner Politik geben wird? Soll ja für alle sein.
„Bereit, weil Ihr es seid.“ steht unter dem Hauptmotto.
Ich habe mit beiden Mottos (heißt wirklich so) Schwierigkeiten. „Zuhören und Zutrauen“, klingt für mich irgendwie nach Selbsthilfegruppe. „Bereit, weil Ihr es seid.“ hat für mich einen defensiven Ton, dem der eigene Push fehlt. Das spiegelt letztlich die Wahlkampagne der Grünen haargenau wieder.
Und genau das nehme ich euch echt übel, Grüne. Ihr seid wie ein Fußballer, drei Meter vor dem leeren Tor. Statt den Ball einfach reinzuschieben, habt ihr es geschafft, euch mit rechts das linke Standbein wegzuschießen und dann noch in den Rasen zu treten. Der Ball ist weg. Der liegt nun bei Angela Scholz. Aber folgt daraus, dass ich mich für die / den jetzt entscheiden muss, weil die Ihr Euch einfach blöd anstellt?
FDP: Der Slogan folgt erst nach dem Foto, auf dem ein Mann, leicht verdreht nach links guckt (von uns aus gesehen). Das Foto ist in Schwarz-Weiß gehalten. Viel Augenbraue, viel Bart, viel Haar. Ist die Botschaft: „Politik ist eine haarige Angelegenheit?“
Nein, nein, unter dem Foto folgt ein roter Balken mit gelber Schrift: Christian Blindner. Ach ja, der ist das! Und dann schließt sich ein gelber Balken mit roter Schrift an: „Nie gab es mehr zu tun.“ Für wen? Für Blindner, der ins Ungefähre blickt? Für die FDP? Für das Land?
Wer keine Ahnung hat, muss denken, der arme Mann! So viel zu tun! Warum hilft ihm denn niemand?
Das Plakat hat noch mehr zu sagen:
Blau auf weißem Hintergrund steht dort: Freie Demokraten und darunter in rotem Balken mit gelber Schrift: FDP.
Alles ganz schön bunt hier! Und irgendwie wirkt es wie selbstgemacht mit schlechtem Grafikprogramm. Da hat sicher der Blindner abends zu Hause…Kein Wunder, dass er so viel zu tun hat. Nie gab es mehr Blindner!
Die Linke: „Soziale Gerechtigkeit wählen: die Linke“. Es gibt nur diesen Spruch, keine Personen. Das muss kein Nachteil sein. Es scheint allerdings als habe die Linke die düsteren CDU-Warnungen vorausgeahnt. Auf ihrem Plakat findet sich nur ein kleines bißchen Rot: oben links ein schmaler Winkel sowie der Hintergrund für den weißen Schriftzug: Die Linke. Das ist sehr zurückgenommen. Den größten Platz nimmt eine cyanfarbene Fläche ein (Mischung aus Blau und Grün), auf der zur Briefwahl aufgefordert wird. Abgeschlossen wird das Ganze auf der rechten Seite von einem dunkelvioletten Längsbalken.
Bist du am Ende, dann nimm Lila. Eine alte Grafiker*innenweisheit. Was soll mir das nun sagen? Winke, winke Linke?
Viel schlauer bin ich nicht geworden. Ich muss wohl noch ein paar Nächte drüber schlafen.
Ich wünsche mir Politiker*innen, die uns nicht ein X für ein U vormachen wollen; die nicht das sagen und etwas anderes tun; die ohne Angst vor Lobbyisten sind; die das Volk vertreten und nicht die Wirtschaft; die Demokratie nicht mit ä schreiben; die ausgestattet sind mit Phantasie, Entschlossenheit und einem langen Atem.
Ich wünsche diesen Politiker*innen ein Volk, das solidarisch ist; das nicht gleich aufschreit, wenn Veränderungen unbequem sind; das bereit ist für die anstehenden Aufgaben, dieses Land umzusteuern.
Wir haben keine Zeit mehr, nichts zu tun!
Wolfgang Blaffert