Kommentar von Landesjugendpastorin Cornelia Dassler zur Situation Jugendlicher und der Evangelischen Jugendarbeit
Erneut fährt das öffentliche Leben herunter. Kinder und Jugendliche müssen oder dürfen oder brauchen nicht mehr zur Schule zu gehen und müssen erneut ihren Alltag, ihre sozialen Kontakte anders organisieren – wenn sie denn die Möglichkeiten dazu haben. Inzwischen wissen wir, dass Jugendliche unterschiedlich gut mit dieser Situation zurechtkommen, abhängig von ihrem Alter und den sozialen Rahmungen.
Allzu leicht gerät aus dem Blick, dass junge Menschen nur abhängig von Erlaubnissen und gewährten Ressourcen – wie etwa Räumen – die Kernaufgaben ihres Heranwachsens bewältigen können. Die ihnen gesellschaftlich abverlangten Leistungen der Selbstpositionierung, Qualifizierung und Verselbständigung brauchen eigene Erfahrungsräume. Ohne diese kann es nicht angemessen gelingen, sozial und beruflich handlungsfähig zu werden und Verantwortungsübernahme zu erproben. Stattdessen bleiben Fragen offen: Wo gehöre ich hin? Wo finde ich mich wieder, wenn ich mich überwiegend allein zurechtfinden muss?
Kinder und Jugendliche brauchen soziale Räume
Die erste Auswertung einer neue Studie der Jugendforschung (JuCo 2) hält als einen wesentlichen Punkt fest: „Das Wegfallen von sozialen Räumen mit den Peers verändert den Jugendalltag grundlegend. Es nimmt den jungen Menschen auch alltägliche Bewältigungsmöglichkeiten, die für den psychosozialen Ausgleich in dieser Lebensphase zentral sind.“
Auf die Frage, warum Jugendarbeit und Kirche Dinge anbieten dürfen, die nach sonstigen Regeln schwierig oder untersagt sind, gibt es unser Meinung nach eine klare Antwort: Gerade weil formale Bildung an Schulen, Hochschulen usw. nur eingeschränkt oder rein digital stattfinden kann und darf, sind andere soziale Räume der Begegnung wie die der nonformalen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wesentlich für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen.
Als zweiten wesentlichen Punkt hält die JuCo 2 fest: „Erwachsene stehen in der Verantwortung, den jungen Menschen Räume zu schaffen und in den Dialog zu treten, um mit den jungen Menschen Jugend 2021 zu gestalten.“ Das sollten wir aus der Jugendarbeit umsetzen und allen jungen Menschen, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einmal mehr Räume eröffnen, Angebote machen und die Ressourcen verstärken.
Zustimmung und Belastung widersprechen sich nicht
Eine große Mehrheit der jungen Menschen begrüßen die Einschränkungen. Das zeigen Daten der neuesten Forsa-Umfrage. Gleichzeitig macht das Bundesjugendkuratorium in einem Zwischenruf vom 15. Dezember darauf aufmerksam: Viele Jugendliche blicken mit Angst und Sorge in die Zukunft.
Die Zustimmung einerseits und die zunehmenden Anzeichen von Belastung andererseits sind kein Widerspruch. Gerade weil Jugendliche die Einschränkungen akzeptieren, wirken sie sich auf ihr Befinden aus und fördern entsprechende Syndrome wie eine inzwischen festgestellte erhöhte Quote von Depressionen. Obwohl Kinder und Jugendliche mit der Situation umgehen und sich ihr in gewisser Weise gewachsen zeigen, müssen wir dennoch das riskante Potenzial sehen und entsprechend handeln. Es gilt, die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen wahrzunehmen und nicht irgendwann später einmal auf nachgewiesene Defizite zu reagieren.
Situation in den Kreisjugenddiensten
Seelsorge ist wichtiger denn je. Das berichten Kirchenkreisjugendwart*innen aus der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers diese Woche in einer Videokonferenz mit Landesbischof Ralf Meister. Die Kontakte zu den kirchlichen Mitarbeitenden werden mehr als früher für seelsorgliche Gespräche genutzt.
Deutlich sichtbar ist die Sorge um die Zukunft. Die Frage nach persönlichen Plänen, ein FSJ, eine Ausbildung, der Beginn eines neuen Abschnitts an der Schule oder Hochschule zeigt überall große Unsicherheit. Auch die Planungen der Jugendarbeit beinhalten Fragezeichen und gestalten sich landeskirchenweit unterschiedlich. Manche für nächsten Sommer geplanten Maßnahmen sind bereits ausgebucht, in anderen Regionen ist Zurückhaltung bei den Anmeldungen spürbar. Die Frage, was möglich sein wird, steht im Raum.
Gemeinsam Hoffnung leben
Mit den Ambivalenzen in dieser Zeit umzugehen, ist für alle schwierig. In den Herausforderungen liegt aber auch die Chance, den diakonischen und seelsorglichen Auftrag in der Jugendarbeit intensiv zu erfahren und neu zu entdecken. Wir können gemeinsam mit den Jugendlichen Hoffnung leben und diese verbreiten. Dazu gehört es, die Unsicherheiten gemeinsam auszuhalten. Darin wird der tiefe Sinn von christlicher Gemeinschaft neu spürbar und der Wert all dessen, was gemeinsam möglich ist. Gemeinsam statt allein – genau das macht den Wert der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aus.