„Suddenly nothing happened!“

(Colin Hay, Waiting For My Real Life To Begin)

Und plötzlich geschieht nichts!

Du segelst auf deiner Liege durch diesen Tag, der alles, was nach Ereignisreichem aussieht, in eine andere Strömung schaufelt, weit an dir vorbei.

Während überall Geschichte tobt, Viren sich Kronen aufsetzen und zu den neuen Herrschern der Welt erklären, hat es dich in eine Lagune getrieben, in der das Wasser stillsteht und die Zeit allmählich verdunstet.

Auch das gibt es „in-diesen-dunklen-Zeiten“  (ein neues Mitglied im Phrasenkatalog), dass es einen in die Windstille verschlagen kann.

Der Kirschbaum blüht, und es sieht aus als läge Schnee auf seinen Zweigen. Du überlässt dich den Zufälligkeiten des Nachmittags: dem Flügelschlag eines Schwans, Kinderlachen, Fetzen eines Gesprächs, das kurz in der Luft schwebt und sich dann auflöst wie eine Seifenblase.
Vom nahen Kirchturm läutet die Glocke zur Todesstunde Jesu. Ihr Klang verteilt sich über die Gärten, ehe er untergeht im aufgeregten Gesumm, das den Kirschbaum erfüllt.

Du liest, schaust, hörst und verfolgst den rasend-langsamen Weg der Sonne über die Büsche.
Und während um dich herum alles in Ereignislosigkeit versinkt, stellst du mit einem Mal fest, dass drei Stunden an dir vorbeigeflogen sind.

Wohin eigentlich?

„Meine Zeit steht in deinen Händen,“ sagt der Beter im 31. Psalm, und es ist eine der wenigen Stellen in diesem Lied voller Beschwörungen, Ängste und Bedrohungen, in dem eine unerwartete Ruhe eintritt. Ein Augenblick der Gelassenheit, in dem sich nichts ereignet.

Du fühlst dich den Händen Gottes in diesem Moment sehr, sehr nahe.

Brannte nicht unser Herz?

Verwirrende Nachrichten! Zwiespalt der Gefühle! Zwei Bewegte unterwegs. Jerusalem lassen sie hinter sich und mit der Stadt zugleich all ihre Erwartungen: der Mann, dem sie alles zugetraut haben, ist hingerichtet worden.
Nun kehren sie in ihr Dorf zurück, kehren zurück in ihr altes Leben. Aber Geschichten begleiten sie, seltsame Berichte, die sie nicht schweigen lassen. Einige Frauen aus ihrem Kreis haben berichtet, das Grab Jesu sei leer. Was bedeutet das?  Sie reden und gehen, das hält die Trauer in Schach. Das bewahrt sie davor zu verstummen und zu erstarren.

Mit einemmal gesellt sich ein Fremder zu ihnen. Er fragt nicht, ob er mit ihnen mitgehen darf – er tut es einfach. Er schweigt. Sie beachten ihn nicht. Dann mischt er sich in das Gespräch ein, fragt, hört zu. Sie antworten, ohne sich zu wundern, und berichten dem Fremden vom Tod Jesu, von ihren zerbrochenen Hoffnungen, aber auch von den Erlebnissen der Frauen am Grab. Trauer, Enttäuschung, Wut, Resignation, Fassungslosigkeit, Funken von Hoffnung, all das geht durch sie hindurch wie Windstöße durch ein Kornfeld und wirft ihr Inneres hin und her.
Sie bekommen kaum mit, was der Fremde ihnen sagt. Sie hören seinen Schriftauslegungen zu, ohne zu begreifen. Das Wort erreicht sie nicht. Ihr Denken bleibt trübe. Aber trotzdem tut ihnen die Gesellschaft des Fremden gut, und außerdem ist Gastfreundschaft in jener Gegend etwas Selbstverständliches.
Als sie ihr Dorf erreicht haben, bitten sie ihn, über Nacht zu bleiben. Sie setzen sich zum Abendessen. Und da geschieht es: der Fremde nimmt das Brot, dankt, bricht es und reicht es ihnen. In diesem Augenblick erkennen sie, wen sie vor sich haben.

Die Erzählung der Emmausjünger (Lukas 24, 13-35) berührt für mich alle Schichten von Ostern. Sie ist für mich noch lange nicht auserzählt. Ich entdecke immer wieder Neues in ihr.

Das Brotbrechen zum Beispiel: Eine ganz einfache Handlung. Nichts Großartiges, nichts Weltbewegendes. Eine Zeremonie des Alltags! Aber erst da geht den Emmausjüngern ein Licht auf.

Ostern ist so groß, so überwältigend neu, dass uns die Sprache dafür ausgehen kann. Manchmal reichen Worte nicht aus, um Menschen auf Gottes Gegenwart  aufmerksam zu machen. Manchmal genügt eine kleine, ganz einfache Geste!

Für mich ist Ostern genau das: unfassbar gewaltig und zugleich unerhört schlicht. Möge uns allen ein Licht aufgehen und mögen unsere Herzen brennen, gerade in dunklen Zeiten!

Karfreitag

Der Tag, an dem wir Jesus Christi Leiden Tod am Kreuz bedenken – ein trostloser Tag? Ja und Nein. Wenn ich mich darauf einlasse, an was wir an diesem Tag denken, wird mir angst und bange, bin ich traurig und wütend. Und dann ist da noch die Hilflosigkeit, den Tod hinnehmen zu müssen. Jesu gewaltsamen Tod, aber auch den Tod heute. Ganz gleich, wie und durch was er kommt, er ist das Ende eines Lebens. Trostlos eben.

Oft schon war ich an Karfreitag spätabends in Hannover in der Marktkirche und habe ein Konzert des Bachchores erlebt. Die Musik nimmt meine Stimmung auf – sie ist tieftraurig, ja auch manchmal wütend und doch tröstlich. Aufführungen der Passion am Karfreitag in der Marktkirche enden ohne Applaus. Still verlassen viele hundert Menschen die Kirche und gehen in die Nacht. Nur eine Glocke läutet – es erklingt das Totengeläut. Das erklingt sonst von den Kirchentürmen, wenn jemand aus der Gemeinde gestorben ist. Auf dem Friedhof begleitet dieses Läuten den Weg zum Grab. Wie oft werden wir diese Glocke in nächster Zeit hören? Wie viel zusätzliche Trauer bringt die Erkrankung an COVID-19 noch über Menschen und ihre Familien, Gemeinden, Länder – auch bei uns? Was tröstet uns dann?

Als ob es nicht schon genug Leid gäbe, trifft die Erkrankung und treffen die Maßnahmen doch sehr stark Menschen, die schutzlos sind, mit gesundheitlichem Handicap, auf der Flucht, arm, ausgeliefert, obdach- oder heimatlos. Hier und anderorts auf der Welt.

Der stille Karfreitag wird in diesem Jahr trotz des Frühlingswetters noch stiller sein als sonst. Vielleicht liegt darin eine besondere Chance, den Gefühlen von Angst, Leid und Trauer angesichts des Todes mehr Raum zu lassen, als sonst und etwas damit zu machen: andere Musik hören, eine der vielen Andachten mitfeiern, die es dieses Jahr im Internet gibt, auf den Seiten der Gemeinden, auf Instagram, auf youtube oder facebook oder im Radio. Auf Worte oder Musik hören, die uns berühren und tröstlich vom Schmerz erzählen. Wie übrigens die Passionsgeschichte in der Bibel.

Ich höre am Karfreitag immer andere Musik als sonst. Nicht nur Bach. Zum Jugendkreuzweg 2020 mit dem Titel „Icon“ gibt es zur Kreuzigung Jesu neben der eigenen Musik für den Kreuzweg den Vorschlag, den Song „Fix you“ von Cold Play zu hören. Das ist eine tolle Empfehlung, finde ich. Es ist ein Liebeslied über unerfüllte Liebe, über das Gefühl großer Verlorenheit und Selbstzweifel, ja auch über Hilflosigkeit. Es könnte ein Lied des Jüngers Johannes oder der Maria Magdalena sein, sie waren mit Jesus eng befreundet.  Das Lied ist musikalisch einfühlsam mit einer Dynamik, wie bei Bach. Besonders schön finde ich den Text des Refrains:

Lights will guide you home  –         Lichter werden dich nach Hause leiten
And ignite your bones                    und deine Gebeine wieder aufrichten
And I will try to fix you                   und ich werde versuchen, dich aufzurichten

Eine Übersetzung des songs lautet so:
Doch verzage nicht,
mein Licht wird dich in der Dunkelheit wärmen und sicher heim geleiten.
Ich bin an deiner Seite und werde dich wieder aufrichten.

Der Tod ist nicht das Ende, auch nicht der Kreuzestod Jesu. Am Ende ist nicht nur der Schmerz, sondern auch Vertrauen und Liebe – wie auch vorher schon im Leben, vielleicht noch stärker sogar. Jesus sagt am Kreuz:  „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lukasevangelium, Kap. 23, Vers 46.) Er ist sich trotz allem sicher: Gott ist bei ihm.

Für mich ist es immer wieder von neuem traurig, aber auch tröstlich, über diesen Tod nachzudenken. Mir klar zu machen: es gibt so krassen Schmerz, es gibt den Tod, ich komme nicht drum herum um das Ende des Lebens. Aber dabei muss es nicht bleiben. Wie Johannes, Maria Magdalena und Maria, die unter dem Kreuz standen, können wir es aushalten und trotzdem – wie sie –  mit der Liebe zu einander weiterleben.

Wir halten es aus, dass es den Tod gibt. Wir können spüren, wie wertvoll das Leben ist und können uns umso mehr freuen, wenn in der Osternacht oder am Ostermorgen wieder alle Glocken läuten.

Ich bin an deiner Seite und werde dich wieder aufrichten – das gilt für alle, die es im Leben schwer haben und für alle, die um einen Menschen trauern. Denen die nicht glauben können, das mit seinem Tod noch nicht alles vorbei ist, sagt es Jesus später so: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

„And I will try to fix you“.

Kleine Übertretungen

Vor mir geht ein Mann pfeifend über die Straße. Auf der anderen Seite trifft er eine Bekannte. „Du pfeifst?“ fragt sie.
„Corona kann mich mal“, sagt er und lacht.
„Das ist aber ein schönes Motto,“ sage ich.
„Ich bin nicht leichtsinnig,“ erwidert er, „aber ich will mich dem Ganzen auch nicht einfach ergeben.“

Sich nicht ergeben. Aus dem Schatten treten. Kleine Übertritte ins Hoffnungsvolle begehen. Leicht-sinnig werden, wenigstens für ein paar Augenblicke.

Es ist der wärmste Tag bislang. Die Kirschbaumknospen sind kurz vorm Aufspringen. Mancher und manchem geht dabei die Phantasie durch: in der Eilenriede, lese ich am Morgen, hat jemand Frühlingsgedichte in die Bäume gehängt.
Was für eine schöne Idee!

Macht es nach in Eurer Gegend. Es kann auch etwas anderes sein als ein Gedicht. Hängt in die Bäume, an die Straßenlaternen, was anderen Menschen Freude macht.

Die Spaßguerilla braucht Nachwuchs. Sie ist die einzige Armee, in die ich eintreten würde.

Ein Traum

Ich habe von einem Brief geträumt, der an alle Aktiven in der Landeskirche ging, Berufliche wie Ehrenamtliche. Er lag in meinen Händen, so dass ich ihn klar erkennen und lesen konnte:

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserer Landeskirche!

Momentan arbeiten Sie alle unter schwierigen Bedingungen. Das, was Ihre Arbeit normalerweise ausmacht, muss im Augenblick entfallen: ein direkter Kontakt zu den Menschen. Das ist schmerzlich! Uns ist bewusst, wie herausfordernd das für Sie ist. Wir alle leiden unter dieser Situation.

Und doch haben Sie nicht aufgegeben. Sie haben alternative Wege gefunden, mit „Ihren“ Gruppen, Kreisen, Verbänden und Gemeinden in Kontakt zu treten. Sie haben neue Formate geschaffen, die dafür sorgen, dass auch in diesen Zeiten die Gute Nachricht nicht verstummt. Das ist bewunderungswürdig.

Sie alle sind es, die unsere Kirche am Leben erhalten, Tag für Tag. Ihr Einsatz ist unverzichtbar und ein großes Geschenk. Wir wissen, dass Sie alles geben. Wir vertrauen Ihnen voll und ganz und werden Sie unterstützen, wo wir nur können.
Wir müssen zusammenstehen, mehr denn je.

Und darum sagen wir aufrichtig danke –  danke für Ihr Engagement, Ihren Einsatz, Ihre Pflichtauffassung, Ihre Treue und Ihre Liebe zum Nächsten.
Wir alle sind Gottes Mitarbeiter, Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Es braucht jede und jeden von uns, daran mitzuwirken. Wie schön, dass Sie dabei sind.

gez. ….

In diesem Augenblick wachte ich auf. Die Schrift verschwamm und verschwand schließlich.  So kann ich leider nicht sagen, von wem dieser Brief stammt und ob überhaupt…
Aber manchmal geht ein Traum ja irgendwann auch in Erfüllung.
Wer weiß…
Und wenn – dann wäre es einfach ein schönes Zeichen.

Lebenslust

Die Sonne ist vor einigen Minuten untergegangen. Allmählich leeren sich die Wege. Ich wandere ins Abendrot hinein.  Über dem Fluss hängt Rauch. Jemand hat ein Feuer gemacht. Es brennt weit sichtbar auf der Wiese. Hinter mir steht der Mond, beinahe vollständig gerundet. Die ersten Sterne blinken auf.
Vom Westschnellweg dringt nur dünnes Rauschen. Der Verkehr hat sichtbar abgenommen.
Ich überquere die kleine Brücke. Unter ihr fließt die Leine, bewegt sich träge, übergossen von Mondlicht.

Eine Amsel singt, ein paar Gänse ziehen südwärts. Ihr Rufen hört sich für mich immer an wie die laut gewordene Sehnsucht und schlägt in mir eine besondere Seite an.
Die Dämmerung fällt nun rascher, noch einmal leuchtet der Himmel. Ich bin allein.
Und dann, mit einem mal, ich weiß nicht wie, setze ich mich in Bewegung und beginne zu laufen. Ich renne! Die Füße fliegen über den Schotter. Ich fühle mich wie zwölf, angetrieben von einer Welle aus Glück, die mich einfach forttreibt, in diesen stillen, schimmernden Abend hinein.

Ich laufe nicht lange, denn mir geht ziemlich schnell die Puste aus. Aber dieses Glücksgefühl! Es glüht noch, als ich zu Hause ankomme.     

Ostern im Ohr

Der Stadtjugenddienst Hannover bietet eine interessante Reihe an:
ein Podcast durch die Karwoche.

Jeden Tag bis zum Ostersonntag werden Themen der letzten Tage Jesu diskutiert. Die Beiträge sind fromm, kontrovers, nachdenklich, meinungsstark, impulsiv, witzig, ernsthaft.

Ein Woche lang jeden Tag Ostern im Ohr!