Eigentlich wollte die Evangelische Jugend Wesermünde einen großen Open-Air-Jubiläumsgottesdienst feiern, doch Corona machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Dann eben online…
Wer Zeit gewinnen will, wird sie verlieren!
Keine neue Erkenntnis. Das gehört eigentlich zum spirituellen Basisprogramm. Aber das muss nichts heißen. Ich bin gestern Richtung Nordsee aufgebrochen. Ich hatte drei Routen, dort hinzukommen: eine, bei der ich die Fähre nehmen muss; eine, die mich die letzten 80 km über die Dörfer führt undnd eine, bei der ich einfach losbrettern kann, ohne den Fuß allzu oft vom Pedal zu nehmen.
Ich entscheide mich für die Fähre. Die Fahrt geht gut voran, der Verkehrsfunk hat keine Probleme zu vermelden, ja, sogar der Elbtunnel ist frei.
Ich gerate ins ins Nachdenken.
Nehme ich die Rennfahrer-Route, kann ich 3 Stunden sparen. Mensch, drei Stunden! Was ich da alles erledigen kann! Also wird es die Rennstrecke.
Die Fähre ist bereits abgehakt. Ich zögere noch kurz an der Ausfahrt zur Route Autobahn – Dorfparcours, entscheide mich dagegen und gebe Gas.
60 km fliege ich dahin. Alles wunderbar. Dann tauchen in der Ferne Blinkzeichen auf. Warnblinken!
Naja, da gibt es vermutlich eine Fahrbahnverengung, eine kleine Störung des Autoflusses, wird sicher gleich vorüber sein.
Der Verkehrsfunk meldet sich in diesem Moment: es hat einen Unfall gegeben; die Aufräumarbeiten dauern bis 18 Uhr. Bitte die Umleitung nutzen. Es ist 15.30 Uhr.
Bis zur Umleitung sind es 6,6 km, die ich zweieinhalb Stunden später auch endlich erreicht habe.
In dieser Zeit habe ich mich ein Dutzend Mal für blöd erklärt und meine falsche Entscheidung verflucht. Ich habe ins Lenkrad gebissen und mich irgendwann beruhigt, soll heißen, bin in den Fatalismus-Modus übergegangen.
Und alles nur wegen 3 Stunden!
Ich wurde daran erinnert, dass es keinen Sinn macht, sich abzuhetzen und darüber das Jetzt zu vergessen. Ich erhielt eine Lektion in Sachen Zeitverschwendung.
Ich denke, ich habe verstanden.
Zurück werde ich die Fähre nehmen. Das dauert auf jeden Fall länger.
Ist aber auch viel schöner.
Willst du Zeit gewinnen, musst du sie dir gönnen.
Ganz unten
„In einer Krise zeigt sich, was etabliert ist und was nicht.“ (Ausspruch eines Wissenschaftlers).
Kinder und Jugendliche sind es nicht.
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist es auch nicht.
Im 8. aej/ESG-Forum Wissenschaft und Praxis wurde vielseitig belegt, dass Kinder und Jugendliche gerade ganz unten auf der Bedeutungsskala stehen. Diejenigen, die sich um sie kümmern, mit eingeschlossen.
Kinder gelten weiterhin als Virenschleudern.
Schulen seien Hotspots für Infektionen, warnt heute der Philologenchef Horst Audritz. Wohlgemerkt: Philologe – nicht Virologe.
Jugendliche wird derzeit nur eine Grundaufgabe ihrer Lebensphase zugestanden: sie sollen sich qualifizieren. Selbständig werden und eine eigene Position im Leben zu finden, interessiert dagegen nicht.
Die (Landes- und Bundes-) Regierung hat nicht den Schimmer einer Ahnung, was es bedeutet, ein junger Mensch zu sein, sondern verfällt in alte Stereotypen bzw. blendet diese Generation einfach aus.
Weder die Praktiker*innen noch die Theoretiker*innen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen werden derzeit gehört.
Auf dem Forum herrschte allgemeine Ratlosigkeit, was zu tun sei.
Politiker anrufen, Journalistinnen auf die Nerven fallen, damit sie berichten, war ein konkreter Vorschlag (der einzige).
Alles schön und gut, doch das sind Erwachsenengedanken.
Vielleicht muss es eine neue Bewegung geben, youth for future, die deutlich macht, dass Kinder und Jugendliche zählen, auch jetzt und heute. Die Entscheidungen müssen jugendrelevant ausfallen. Es kann nicht sein, dass alte Männer und Frauen allein bestimmen, wo es hingehen soll.
Jugendliche müssen gefragt werden und mitentscheiden!
Die Generation Corona hat es nicht leicht.
Sie braucht Unterstützer*innen.
Uns!
Und es geschieht ja schon was!
In diesem Zusammenhang möchte ich aufmerksam machen auf die Kampagne der aej: wir sind #zukunftsrelevant
Schneller
Heute Morgen erhalte ich eine Mail von einer Kollegin:
„Ich habe schneller gesprochen / aufgenommen als gedacht und könnte auch schon früher.“
Mensch, denke ich, Geschwindigkeit zahlt sich aus. Das könnte doch auch in anderen Bereichen helfen. Also drücken wir mal aufs Tempo:
schneller gucken
schneller schlafen
schneller atmen
schneller lachen
schneller sich ausklinken
schneller schreiben
schneller schweigen
schneller beten
schneller wohnen
schneller warten
schneller stehen
schneller sitzen
schneller liegen
Ob das ein Weg ist, das Corona-Monster zu überholen, ihm einfach davon zu schnellen?
Was meint Ihr?
Ich warte auf eine Antwort!
Aber zacki!
Angst essen Weite auf
Es geht aufwärts. Vieles, was bislang geschlossen war, hat wieder geöffnet. Die Straßen haben sich längst wieder gefüllt, die Strände auch.
War da was?
Ja! Aber nicht war, sondern ist!
Jedenfalls in unserer Kirche.
Corona ist nicht verschwunden, geschweige denn überwunden.
Corona hat vielen den Boden unter den Füßen weggezogen.
Unsicherheit und Angst, wohin man schaut, mit wem man spricht.
Die Kolleg*innen machen sich Sorgen, ob die Jugendlichen, die an den Online-Formaten nicht teilgenommen haben, nach Lockerung der Vorsichtsmaßnahmen wieder auftauchen. Das Objektiv ist auf Nähe eingestellt, nicht auf Weite. Die Lust auf Übergemeindliches kommt derzeit nicht über Bonsai-Format hinaus.
Die Jugendlichen suchen nach einem Halt in all der Unsicherheit, und den finden sie zu Hause: „Meine Gemeinde.“ „Meine Diakonin.“ „Mein Gemeindehaus.“ usw.
„Geht hin in alle Welt?“
Nö!
Rückzug ist angesagt, der Wunsch, im Vertrauten zu bleiben.
Wenn ich sehe, wie sehr das Denken und Empfinden vieler Menschen von einer unbenennbaren Angst beherrscht wird, schnürt mir das die Luft ab.
Was wird aus dieser Kirche, wenn sie sich verschließt?
Ist Glaube nicht eine Möglichkeit, die Angst kleinzuhalten und die Zuversicht größer zu machen?
Angst kann man nicht wegreden! Aber es hilft, ihr nicht allein gegenüberzutreten.
Müssen wir auch nicht!
Wenn ich mich fürchte, so hoffe ich auf dich. (Psalm 56,4)
Fragen
Wo gehen wir hin?
Was soll aus uns werden?
Erinnern wir uns, wer wir waren?
Bleiben wir stehen?
Brechen wir auf?
Mit Gott oder ohne?
Wer wollen wir werden?
Wie wollen wir sein?
Gemeinsam oder allein?
Wumms!
Die Bundesregierung hat gehandelt und will 130 Milliarden Euro spendieren, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln (die Wirtschaft, nicht die Kultur).
Von vielen Seiten kommt Lob dafür. Das Konjunkturpaket werde die Kauflaune anstacheln. Deshalb erhalten z.B. Familien für jedes Kind 300,- €.
Ach, darum geht’s! Olaf Scholz hat uns mit Wumms in den Konsumorbit geschossen.
Kaufen wird Pflicht, zu einem ethischen Muss. Wer nicht kauft, macht sich verdächtig. Wer nicht kauft, ist asozial.
Laufen und kaufen, um Sonderangebote raufen, vor Kauflaune schnaufen und sich in den Kaufrausch saufen…
Anscheinend ist es vollkommen egal, was gekauft wird. Hauptsache, man kauft.
Mein Ratschlag: kaufe, schmeiß es weg, kauf es neu, dann brummt der Laden wieder und eine goldene Zukunft steht uns allen bevor.
Die Würde des Verbrauchers ist unantastbar.
Wie armselig unsere wunderschöne Warenwelt ist, nie wurde es deutlicher als jetzt.
Fällt uns nichts Besseres ein?
Geeicht auf Konsum? Und sonst nichts?
Es gibt Werte, die kann man nicht kaufen.
Aber genau dafür arbeiten wir, wenn wir mit Kindern und Jugendlichen zusammenkommen.
Für eine andere Sicht auf die Welt. Für ein anderes Lebensverständnis.
Wir sind nicht ahnungslos, nicht weltfremd.
Wir sind Teil dieser Gesellschaft und leben nicht ohne Geld.
Wir machen auch nicht um jedes Geschäft einen Bogen.
Aber wir wissen, dass wir mehr sind als Kundinnen und Klienten.
Wir sind Menschen.
Und das ist eine verdammt spannende Aufgabe.
Sich verlesen
Manchmal überfliege ich Schlagzeilen, Notizen, Artikel, selbst Bücher, und ersetze in aller Zerstreutheit den eigentlichen Sinn durch einen anderen.
Ein paar Kostproben:
Demoralisiertes Wasser
Abschnackprämie
Wer hier parkt, wird widerwillig abgeschleppt.
Wussten Sie schon, dass die Honigbiene nach Kindern und Schweinen das drittwichtigste Nutztier in Deutschland ist?
Die Staatsmänner aus China und den USA sind zu einer Meinungsverschiedenheit zusammengekommen.
Fällt ein Tropfen von dem Regen, der aus Gärten Wüsten macht.
Fällt ein Tropfen von dem Regen, der aus Würsten Gärten macht.
Merz sieht Konkurrenten nicht als Söder.
Till Schweiger im Knockdown: eine sehr schwere Zeit.
Trump demonstriert Unruhe. Doch die Wahlchancen lassen seine Stärke schwinden.
Anders als Merkel und Scholz: Mützenich schließt längere Segnung der Mehrwertsteuer nicht aus.
Corona-Massenfest in Göttingen.
Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich entsorgen.
Du sollst nicht bekehren deines Nächsten Weib.
Blitz und Donner mit Spargelschlag.
Naja, so könnte ich noch lange weitermachen. Sich verlesen heißt sich überraschen. Probiert es aus. Aber manchmal gibt es Sätze, die müssen gar nicht verbogen werden.
Lufthansa fliegt aus dem Dax. Von wo ist sie denn gestartet?
DFB-Pokalfinale wird verschoben! Hat der FC Bayern das wirklich nötig?
In diesem Sinne ende ich in schönen Wochenwünschen.
Alles so schön monochrom hier?
Mein Freund ist tapfer. Bislang konnte Corona seinem Optimismus und seinem Tatendrang nichts anhaben. Aber allmählich geht ihm die Puste aus.
Mein Freund gehört zu den Kulturschaffenden. Für kulturelle Einrichtungen hatte die Landesregierung in Niedersachsen 20 Millionen bereitgestellt.
Klingt nach viel.
Ist es aber nicht!
Formulare, Wartezeiten, krude Bedingungen – es bereitet gerade kein Vergnügen, Hilfen zu beantragen. „Unbürokratisch“ ist hier nur ein Versprechen. Und die Beträge sind auch nicht so, als dass man Luft für ein halbes Jahr hätte.
Die Ausgaben haben sich nicht verringert, dafür sind die Einnahmen weggefallen.
Es wird allmählich brenzlig, und das drückt die Stimmung und macht Tapferkeit zu einer äußerst anstrengenden Tätigkeit.
Dazu kommen die Beschränkungen, die ein künstlerisches Arbeiten sehr erschweren oder ganz unmöglich machen.
Kultur ist Austausch: von Ideen, Begegnungen, Perspektiven.
Am meisten tragen jene dazu bei, die nicht im Rampenlicht stehen, sondern sich ohnehin am Existenzminimum bewegen. Sie sind Künstler*innen, weil sie ihre Arbeit lieben. Sie bereichern uns alle mit ihrer Kreativität. Ohne sie wäre es ganz schön monochrom hier.
Wir brauchen keine Kaufanreize für Autos. Wir brauchen ein Aufbauprogramm für die Kultur: Für das Theaterensemble wie für die Malerin, den Musiker, die Clownin, das Orchester, die Band, den Rapper, die Dichterin, den Bildhauer, die Tänzerin, die Schriftstellerin, den Filmemacher, die Aktionskünstlerin.
Das lässt sich nicht alles in finanziellen Gewinn umrechnen, aber in Lebensqualität.
Bunt? Gefällt mir!
Und dir?
Sehnsucht nach Analogem
Wir zoomen, skypen, google meeten oder konferenzen-e, bis die Netzhaut platzt und das Hirn schmilzt. Neue Worte erobern unsere Sprache, neue Formate die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Manche Berufliche haben ihren alten Traum vom Show-Star-Dasein wieder aus der Mottenkiste geholt und sich auf alle nur erdenkliche Weise digital in die Welt gepustet.
Manche denken auch, digital könne man gleichsetzen mit jugendlich.
Die Meisten wissen es besser.
Und die Jugendlichen?
Natürlich nutzen sie das gesamte Medienarsenal, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen. Schließlich ist es ein Teil ihrer Lebenswelt.
Aber andererseits!
Es gibt einen Medienüberdruss. Die jungen Menschen haben es satt, sich nur noch digital zu begegnen. Sie wollen sich treffen.
Live.
Von Angesicht zu Angesicht!
Mit Einschränkung ist das ja nun auch wieder machbar.
Ermöglicht es ihnen.
Lasst sie sich treffen. Denn davon lebt die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Von der Begegnung. Vom spontanen Kontakt. Davon, eine Gruppe zu sein.
Und wenn wir vorsichtig sind, kann auch nichts passieren.
Denn Nähe ist mit Abstand unsere Stärke!