Klaas Grensemann, Diakon im Kloster Bursfelde und Begründer des Klosterprojekts, zeigt Euch, wie man sich einen Raum der Stille bauen kann.
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Kein Dank für Streber
Bislang sind wir Kirchenleute nicht als widerspenstig aufgefallen. Wir verbreiten keine Verschwörungstheorien oder fordern, dicht an dicht, unsere Freiheit und laufen auch nicht wie der Präsident mit dem plattgefahrenen Hamster auf dem Kopf ohne Mundschutz herum.
Im Gegenteil! Wir sind sozusagen de Streber*innen der Nation, befolgen alles hundertprozentig, was von den Behörden verordnet wurde.
Und der Dank dafür?
Wir werden behandelt wie ein Nest räudiger Kojoten.
Man misstraut uns offensichtlich.
In Geschäften gibt es den Mindestabstand und das Tragen von „Schnutenpullis“ (Hamburger Bezeichnung für Masken). In den Kirchen kommt die Vorgabe hinzu, dass jede Person 10qm an umgebenden Raum braucht. Überträgt man das auf alle anderen Einrichtungen, dann wäre Hannover voller Schlangen (und ich meine nicht die aus dem Garten Eden).
Am besten finde ich, dass man sich bei den Besuchenden des Gottesdienstes am Eingang nach Krankheitssymptomen erkundigen soll.
Warum nicht gleich eine Temperaturmessung oder die Forderung, die Zunge zu zeigen?
Deshalb schlage ich vor:
An den Kirchentüren werden Desinfektions-Sprühanlagen aufgebaut, die jede/n beim Betreten gründlich einnebeln. Außerdem ist der Besuch nur nach vorheriger Anmeldung gestattet. Das ist doch ohnehin der Traum vieler Kolleg*innen:
„Guten Tag! Sie hatten reserviert?“
„Ja, eine Bank für zwei Personen.“ „Mit Abendmahl oder ohne?“
„Mit.“ „Wenn Sie mir bitte folgen würden.“
Gesungen werden darf ja nicht. Zu gefährlich. Manche plädieren dafür, sich aufs Summen zu verlegen.
Um letzte Gefährdungen zu minimieren, sollte das auch für die Predigt gelten.
Und gebetet wird selbstverständlich in die Armbeuge.
HoffnungHamstern
Kolja Wagner, aktiv im Kirchenkreis Ronnenberg und Teamer auf dem Konficamp in Wittenberg hat eine Botschaft geschickt, die zugleich ein kleines Zeitdokument ist.
Absolut ansehenswert!
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Angst!
Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber in letzter Zeit leide ich unter akuter Arborphobie.
Was das ist?
Die Angst, unter Bäumen zu stehen.
Nun ja, den Namen dieser Phobie habe ich mir gerade selbst ausgedacht. Doch ich bin sicher, dass es Menschen gibt, die Ähnliches durchmachen.
Wenn ich morgens aus dem Haus trete, komme ich nicht an der mächtigen Platane vorbei, die ihre Äste in alle Richtungen ausbreitet. Man hört mehrere Tauben gurren und man sieht, dass der Weg gesprenkelt ist von fettem Taubendreck.
Mehrfach schon bin ich diesen Kotbomben nur knapp entgangen.
Es sind nicht nur die Tauben!
Im Garten muss ich den Kirschbaum meiden, der anscheinend zur Meisentoilette erkoren wurde. Und auch sonst, seien es Krähen, Amseln oder andere gefiederte Fluggeräte, ist man unter keinem Ast mehr sicher.
Ein Bekannter hat sich neulich eine Bank gezimmert, die unter der Linde in seinem Garten steht. Kaum war das geschehen, beschlossen sämtliche Spatzen der Gegend, sich auf diesem Baum zu versammeln und ihre Hinterlassenschaften auf die Bank tropfen zu lassen.
Was ist los in unserem Land?
Leiden derzeit alle Vögel an Diarrhoe?
Oder soll das heißen: wir scheißen auf euch?
Normalität light
Heute ist mein erster Tag im Büro.
Zwei Monate habe ich es nicht betreten, und verdammt, niemand hat aufgeräumt.
Es sieht so aus als hätte ich es eben erst verlassen.
Das fühlt sich komisch an.
Der Weg durch die Stadt war auch anders als sonst. Kaum Verkehr, weniger Leute als sonst auf den Straßen.
Alles wirkt wie leergefegt.
Dann sitze ich also im Zentrum des Durcheinanders, schaue Post durch und höre plötzlich Stimmen auf dem Flur.
Ich reiße die Tür auf und schaue auf Grünes. Der Kollege schiebt einen ganzen Wagen junger Tomatenpflanzen über den Flur, um sie unter die Leute zu bringen.
Wir reden und lachen und machen Blödsinn. Es ist wie immer. Nur dass der Abstand zwischen uns größer ist als früher.
So könnte es in den nächsten Wochen und Monaten aussehen: eine Normalität light. Nicht unbekümmert oder sorglos, aber doch wieder näher an dem Zustand, der uns vertraut war.
Wichtig ist, keine Angst zu haben. Wichtig ist, wachsam zu bleiben.
Verglichen mit dem, was wir in den letzten 2 Monaten erlebt haben, ist das ein Riesenfortschritt.
Ich freue mich, wieder unter Kollegen und Kolleginnen zu sein.
Nur gewöhnen werde ich mich nicht daran.
Denn ab morgen habe ich Urlaub.
Bi-Bu-Ba-Bihildung
Unsere Fachleute für Bildung scheinen Oberwasser zu bekommen. Mit ernsten Gesichtern verkünden sie der Öffentlichkeit, was sie sich für Kinder und Jugendliche ausgedacht haben. Der Schulbetrieb muss wieder laufen.
Dass sie mindestens zehn Jahre an digitaler Unterrichtsentwicklung verschlafen haben? Geschenkt!
Der Loop der Sonntagsreden a la „Bildung ist unser höchstes Gut“ läuft ungebrochen weiter. Nur getan wird nix! Warum auch? Ist doch alles so schön bunt hier!
Kinder und Jugendliche sollen lernen. Das muss ja wohl reichen.
Dass sie noch ganz andere Bedürfnisse haben, interessiert niemanden. Dass mit Corona der Prozess des Aufwachsens nicht einfach ausgesetzt ist, ist komplett aus dem Blick geraten.
Dass es neben formaler Bildung auch non-formale und informelle gibt, wird unterschlagen.
Dass Kinder und Jugendliche Zeit und Raum brauchen zum Experimentieren, dass sie herausfinden müssen, wer sie sind, fällt derzeit den neoliberalen Chorälen zum Opfer. „Kommt und lasst die Börse ehren.“ „Der du das Geld in Händen hast.“
Jaja, die Wirtschaft muss wieder laufen. Aber auf Kosten der Jungen?
Es kann doch nicht sein, dass ihnen die Ferien gekürzt werden sollen, „damit sie ihre Zeit sinnvoll nutzen.“ Es kann doch nicht sein, dass man ein Abitur verordnet, das letztlich die veränderten, schwierigen Bedingungen einfach ausblendet. Die Jugendlichen machen das schon. Ganz bestimmt.
Es kann doch nicht sein, dass man die Schulen vorsichtig zu öffnen beginnt, es aber zur Jugendarbeit noch nicht einmal die kleinste Verlautbarung gibt.
Zählt anscheinend nicht! Ist nicht wichtig!
Corona ist ein Retrovirus.
Frauen fühlen sich gerade um 30 Jahre zurückgeworfen, weil sie aus wichtigen Bereichen verdrängt werden. Home-an-den-Herd-Office ist angesagt.
Kinder und Jugendliche sind wieder das, was sie in Erwachsenenaugen meistens sind: Problemfälle, die man in die Welt der Großen so zu integrieren hat, dass sie nicht stören.
Um aus einem Wort zum Sonntag zu zitieren: „Mit Verlaub, ich könnte kotzen!“
Was jetzt dran ist!
Der Wind pflückt die Kastanienblüten und lässt sie zu Boden rieseln. Auf der Erde erinnern sie an letzte Schneereste.
Wie rasch alles geht. Eben noch wuchsen aus den Kastanien weiße Kerzen, nun sind sie schon beinahe wieder ausgeblasen. Eben noch ging es um weitreichende Schutzmaßnahmen, nun wird gelockert.
Und viele würden jetzt am liebsten alles auf Null drehen, um weiterzumachen wie vorher.
„Blödes Corona,“ höre ich öfter, „darauf habe ich keinen Bock mehr.“
Wohlgemerkt, das sind Stimmen von Eltern.
Die Kinder und Jugendlichen haben längst eigene (Aus-)Wege gefunden. Sie treffen sich zu sechst oder acht an verschwiegenen Plätzen, spielen dort oder hängen gemeinsam ab. Sie sind netzmüde und sehnen sich nach physischer Nähe.
Ein „so-wie-früher“ wird es nicht geben. Und jene, die derzeit Versammlungsfreiheit einklagen und dabei mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen, das sie doch eigentlich abschaffen möchten, können erst recht nicht unsere Gewährsleute sein.
Klar aber ist: wir brauchen Ideen. Wir müssen mit Kindern und Jugendlichen überlegen, welche Formen möglich sind. Wie können wir uns treffen, ohne uns zu gefährden? Welches Format kann Spaß machen?
Fragt Eure Leute und lasst uns darüber austauschen.
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen trottet nicht am Ende des Zuges . Sie geht voran!
Ein Knüllchen für’s TT
Das „Gemischte Doppel“ aus dem Kirchenkreis Stade hat eine pfiffige und sehr schöne Werbung für dasTheatertreffen 2021 eingespielt. Selbst wer sich nicht anmelden mag, sollte sich das ansehen.
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Regen
Warum heißt es eigentlich „den Rasen sprengen“?
Ich stelle mir gerade vor, wie überall in den Gärten kleine Detonationen zu hören sind, weil der Rasen vermint wurde. Grasbrocken fliegen durch die Luft und lassen das Herz eines Unordnungsfanatikers, wie ich einer bin, höher schlagen.
Aber es bleibt ruhig, nirgends stehen Warnschilder: „Achtung Rasensprengung! Explosionsgefahr!“
Der Rasen ist mir egal. Bislang zeigt er sich in tiefem Grün, auch ohne Bewässerung. Anders verhält es sich mit meinen Saaten, die gerade beginnen aufzulaufen (noch so ein lustiges Wortspiel. Man denkt doch gleich an Fußballmannschaften). Jeden Tag muss gewässert werden, sonst sind vier Wochen Mühe und Geduld für die Katz gewesen.
Nun zeigen sich erste Erfolge. Vorsichtig wagen sich winzige Pflänzchen aus dem Boden. Sie erhalten Sonnenschein en masse und auch schon mehr Wärme, als im April normalerweise üblich. Aber jeden Tag muss ich die Pumpe anwerfen und den beginnenden Blumenurwald mit Wasser versorgen.
Selbst wenn ich dürfte, könnte ich momentan nicht weg. Ich bin an meinen Garten gefesselt.
Seit zwei Tagen ist Regen angekündigt, der nicht fällt; der unsere Region seit Wochen ausgelassen hat. Während ich das schreibe, überzieht sich das Pflaster mit einer dunkleren Tönung. Doch mehr als ein paar dürftige Tropfen werden nicht spendiert.
Das erinnert mich daran, dass wir nicht nur mit einem Problem zu kämpfen haben. Der Klimawandel macht keine Pause.
Wer meint, wir könnten unser Wirtschaftssystem einfach reaktivieren und dann wäre alles gut, irrt gewaltig. Für eine gewisse Zeit wird uns nichts anderes übrig bleiben, aber dann…
Es geht um einen Sinneswandel im Angesicht des Klimawandels. Die gegenwärtige Lage zeigt, wie schwierig ein Umbau ist, soll er gerecht und sozial und klimafreundlich sein und dann auch noch die Demokratie sichern.
Wie das gehen kann, beschäftigt mich sehr.
Wir werden viele Ideen ausbrüten müssen, praxisnahe und weiterführende.
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird ein wichtiges Feld sein. Wir brauchen ihre Ideen.
Ein Zukunftsplan lässt sich nur im engen Austausch mit denen entwickeln , die diese Zukunft auch noch erleben werden.
In Norwegen hat sich die Ministerpräsidentin schon in den ersten Corona-Wochen von den Kindern und Jugendlichen ihres Landes beraten lassen.
Immerhin ein Anfang. Und hier? In der Politik, in den Kirchen?
…
Wieder kein Regen. Die Wolkendecke wird löchrig. Der Nachbar, der seinen Rasen mit der Nagelschere bearbeitet, ist schon wieder am Werk.
Ich habe Lust, den Rasen zu sprengen.
Sätze, die helfen.
Es gibt Sätze, die mich einfach überrennen, ohne dass ich mich dagegen wehren kann. Sie treffen mich und schließen etwas in mir auf, das vorher im Dunkeln lag.
„Gott ist mein Spendierer“, ist so ein Satz. Er stammt aus der Recherchearbeit zu unserer Ausstellung „Eine Vorstellung von Gott.“ Geschrieben hat ihn eine Siebzehnjährige, deren Text voller Zerrissenheiten steckt, bis sie schließlich zu dieser Aussage gelangt.
Es gibt anderes: Gedichtzeilen, Blitzlichter aus Psalmen, Jesusworte, profane Geschichten, in denen sich ein Rohdiamant verbirgt.
Zur Zeit ist es das Zitat eines italienischen Autors, das in einem fremden Roman auftaucht.
Vielleicht hätte es mich zu einem anderen Zeitpunkt gar nicht so berührt. Aber jetzt wurde ich voll erwischt!
„Es ist schön zu leben, weil leben anfangen ist, immer, in jedem Augenblick.“
Ich liebe diesen Satz für seine Liebeserklärung ans Leben.
Ich liebe ihn für seine Haltung. Dieser Blick nach vorne, immer neugierig auf das, was da kommt, bereit, sich überraschen zu lassen.
Ich liebe diesen Satz für seine Weisheit. Nicht bewahren, sondern gegenwärtig sein. Kein Bedauern, dass etwas vorbei ist. Empfänglich sein für Neues.
„Wer die Hand an den Pflug legt und schaut zurück…“
Aber nun wird es verwirrend!
Wie gerne würde ich unterschlagen, was bald nach dieser Liebeserklärung folgte!
Der Mann, der diesen Satz geschrieben hat, nahm sich das Leben.
Spricht damit nicht alles gegen seine Worte? Widerlegt sein Freitod nicht diese hellsichtige Einsicht?
Manchmal ist unser Wissen größer als wir selbst. Manchmal mag es den Schreibenden weniger nützen als den Lesenden.
Wir bleiben gefährdet. Wir können uns verfehlen, wir können uns aufgeben. Alles möglich.
Doch im Zerbrechlichen zeigt sich eine tiefere Qualität, und was verlorengehen kann, enthüllt gerade darin seinen unwiederbringlichen Wert.
Und darum: lebt! Fangt an, immer, in jedem Augenblick.
Übrigens: Wir müssen uns nicht allein abmühen.
Gott bleibt unser Spendierer.